Meinung

Aufkommende Forderungen zur Freigabe von Fracking in unkonventionellen Erdgasiagerstätten infolge ausbleibender Lieferungen russischen Erdgases

Ausgangsituation

Russlands, durch nichts gerechtfertigter Angriffskrieg gegen die Ukraine hat, wie bekannt, direkte Auswirkungen auf die bisher scheinbare sichere Versorgung der Bundesrepublik Deutschlands mit russischem Erdgas, welche seit Monaten unterbrochen ist.

Um die ausfallenden Liefermengen zu substituieren und gleichzeitig auch die Abhängigkeit Deutschlands vom russischen Erdgas nicht nur zu reduzieren, sondern zu beenden, werden temporär alternative Lieferquellen benötigt, bzw. auch nach diesen gesucht. Insoweit kann man in gewissem Umfang Verständnis für die diesbezüglichen Aktionen der Bundesregierung haben, was die Beschaffung alternativer Lieferquellen für fossile Energien betrifft.

Aber: Diese Aktionen sind vom Umfang und den zeitlichen Festlegungen her völlig überdimensioniert [1])[2]). Sie lassen Zweifel am ernsthaften Willen der Bundesregierung aufkommen, die aktuelle geopolitische Situation max. zu nutzen, um den zwingend notwendigen Wechsel von der Nutzung fossiler Energien auf 100 % erneuerbarer Energien zu vollziehen.

Auch die Industrie, stellvertretend sei BASF genannt, die sich heute des fossilen Erdgases bedient, muss ihren signifikanten Beitrag leisten, hat sie doch einen entscheidenden Anteil an der Abhängigkeit von russischem Erdgas.

Warum Verträge mit neuen Lieferländern wie Senegal zur Lieferung von Erdgas? Noch in 2021 ließ die fossile Industrie LNG Terminals wie eine heiße Kartoffel, wegen geringer Nachfrage, fallen. Heute können es nicht genug sein.

Investitionen in langfristige Lieferverträge für fossiles Erdgas stehen den Klimazielen diametral entgegen, beinhalten die große Gefahr den Abschied von fossilen Energien auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben, Geschäftsmodelle z. B. von Wintershall Dea [3]) deuten eindeutig darauf hin, es läuft darauf hinaus fossilem Erdgas auf Dauer einen grünen Mantel umzuhängen.

Das ruft die Frackingbefürworter auf den Plan

Die sich radikal geänderte geopolitische Situation bringt die Fracking Befürworter auf den Plan. Diese sehen hier eine Chance, dass derzeit gemäß § 13a des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) bestehende Frackingverbot zur Förderung von Erdgas (und Erdöl) in den s. g. unkonventionellen Lagerstätten, wie z. B. in Schiefergestein, zu kippen. Ihre vorwiegenden Argumente:

  1. Die Technik hat sich weiterentwickelt
  2. Die Chemikalien in den Frackfluiden sind nicht oder nur schwach wassergefährdend, nach deutschem Chemikalienrecht ungiftig und machen mit ca. 1 % nur einen geringen Anteil am Frackfluid aus 
  3. Der Flächenbedarf für Bohrplätze ist durch die Horizontalbohrtechnik gering
  4. Seismische Ereignisse (verharmlosend für Erdbeben) durch Fracking sind, wenn überhaupt, mikroseismische Ereignisse
  5. Die Rissausbreitung während des Frackvorganges ist gut zu überprüfen

Zu 1.    Hier wird pauschal ausgeführt, dass sich die Technik weiterentwickelt hätte, ohne darzulegen in welchen Bereichen und worin denn die Weiterentwicklung besteht.

Aus einigen Äußerungen ist zu schließen, dass hiermit die Möglichkeit des horizontalen Bohrens gemeint ist, eine Technik die schon lange in Deutschland Anwendung findet. Die längste horizontale Bohrung in Deutschland führt über rd. 10 km von Dieksanderkoog zur Mittelplate. Seit 2005 ist diese Förderbohrung in Betrieb.

Zu 2.    Das die nur schwach bzw. nicht wassergefährdenden Chemikalien überhaupt funktionieren ist nicht belegt und kann aus guten Gründen bezweifelt werden.

Scheinbar nur schwach oder nicht wassergefährdende Chemikalien sind nicht zwingend gleichzeitig auch ungiftig, schon gar nicht in Kombination mit anderen Chemikalien. Auch Chemikalien die nach deutschem Chemikaliengesetz nicht als giftig bezeichnet werden müssen, sind damit nicht automatisch ungiftig. Auflistungen der vorgeblich ungiftigen Chemikalien: Fehlanzeige. 

Genauso gibt es keinerlei Untersuchungen darüber, wie die zum Einsatz kommenden Chemikalien mit den im Gestein vorhandenen und durch das Frackfluid ausgelösten Chemikalien reagieren. Welche Toxizität von diesen Chemiecocktails ausgehen, völlig unbekannt.

Der Hinweis darauf, dass nur ca. 1 % des Frackfluides Chemikalien sind, ist der Versuch des Kleinredens. Bei 10 m3 Frakfluid sind das immerhin 100 kg Chemikalien. Bei einer durchschnittlichen Bohrung in Schiefergestein werden aber alleine für 3 Frackvorgänge ca. 12.000 mWasser benötigt, somit beträgt der Chemikalieneinsatz bei 1 % = 120 t. Drei Frackvorgänge pro Bohrung sind als Minimum zu bezeichnen, jeder zusätzliche Frackvorgang erhöht den Wasserbedarf und Chemikalieneinsatz entsprechend. 

Gemäß Studie des Umweltbundesamtes (UBA) werden 48.000 [4]) Bohrungen zur Förderung des Erdgases in den Schiefergaslagerstätten prognostiziert. Das sind mal eben 576.000.000 m[5])[6])(Grund) Wasser und 5.760.000 t Chemikalien. Hinzu kommt der relevante Wasserverbrauch für die Bohrungserstellung mit den darin enthaltenen Chemikalien. 

Dieses Wasser ist für die weitere Nutzung, sei es als Trinkwasser, für industrielle Prozesse, die Bewässerung von Pflanzen etc. praktisch verloren und muss aufwändig entsorgt werden. Es wird quasi dem natürlichen Kreislauf entzogen, steht damit in Nutzungskonkurrenz zu anderen Wassernutzern, speziell der Landwirtschaft, und kann in Anbetracht der sich abzeichnenden Wasserknappheit nicht verantwortet werden.

Zu 3.    Es ist richtig, dass der oberirdische Flächenverbrauch bei Anwendung der horizontalen Bohrtechnik geringer ist, weil die Erschließung der Schiefergaslagerstätten von s. g. Clusterbohrplätzen aus erfolgt. Hierbei wird aber unterschlagen, dass unter dem Bohrplatz viele Bohrungen (siehe unter Zu 2.) erstellt werden und die Gesteinsschichten horizontal über viele km2 und vertikal um mehrere hundert Meter durch die Frackvorgänge dauerhaft und nachhaltig zerstört sind. Eine graphische Darstellung findet sich unter [7])

Zu 4.    Jeder Frackvorgang löst zugleich auch ein kleines seismisches Ereignis, deutlicher kleines Erdbeben aus. Hierbei muss und wird es aber nicht bleiben, weil sich die Spannungsverhältnisse im Gestein durch die Erdgasförderung (Druckabbau) weiter verändern, was letztendlich größere und stärkere Erdbeben mit Schäden an Gebäuden und Infrastruktur zur Folge haben kann. Beispiele aus der aktuellen Erdgasförderung gibt es zur Genüge.

Zu 5.    Entsprechende Versuchsreihen/Erprobungen in den USA wurden abgebrochen, weil die Rissausbreitung deutlich über die prognostizierten Werte hinausgingen. 

Auffällig ist bei den Befürwortern der Frackingtechnologie, hier sind CDU/CSU, FDP, aber auch Mitglieder der Frackingkommission an vorderster Front zu finden, dass sie kein Wort über die mit dem Fracking verbundenen Risiken und Probleme verlieren.

Kein Wort darüber worin die technischen Weiterentwicklungen begründet sind. Kein Wort darüber um welche Stoffgruppen es sich bei den „problemlosen“ und „ungiftigen“ Chemikalien im Frackfluid handelt. Warum sollte man das auch offenbaren, denn nach Aussage von Prof. Holger Weiß, Mitglied der Expertenkommission, ist dieses ja, verniedlichend, einfach nur Spüli. 

Fazit:

  • Die postulierten technischen Weiterentwicklungen (Bohrtechnik) sind schon zu Zeiten des Frackingverbotes angewendet worden, also in diesem Sinn nichts Neues. 
  • Für die „ungiftigen“, „nicht wassergefährdenden“ bzw. „nur schwach wassergefährdenden“ Frackfluide fehlt der Wirknachweis. 
  • Über die chemischen Reaktionen beim Zusammentreffen der Frackfluide mit den Porenwässern (Lagerstättenwasser) in der Analyse, sodass über die Wirkung dieser Chemiecocktails auf die Bohrung, die dauerhafte Bohrungsintegrität, die Umweltwirkung völlige Unkenntnis besteht.
  • Die mit der Förderung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten, wie Schiefergas-lagerstätten, verbundenen Risiken bestehen nach wie vor und uneingeschränkt.
  • Durch die Vielzahl der notwendigen Bohrungen zur Erschließung des Schiefergases im Falle einer Frackingfreigabe potenziert sich die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Risiken, zumal die Lagerstätten deutlich höher und damit näher an den Grundwasserleitern liegen.

Eine Frackingfreigabe zur Erschließung von Schiefergasvorkommen wird

  • auch auf Jahre hin keinen Beitrag dazu leisten, die bisher von Russland bezogenen Erdgasvolumen, es waren immerhin rund 50 % des deutschen Erdgasbedarfes, nennenswert auszugleichen. Und warum überhaupt Investitionen in fossile Energieprojekte? Dieses Gas muss in der Erde bleiben. 
  • verzögert den notwendigen Umstieg auf erneuerbare Energien
  • schafft Investitionsruinen
  • gefährdet die Gesundheit von Mensch und Natur in den möglichen Fördergebieten, in welchen Schiefergasvorkommen vermutet werden. Diese liegen schwerpunkt-mäßig in Norddeutschland (nördlich einer gedachten Linie zwischen Düsseldorf und Cottbus, aber auch Bayern kann betroffen sein)
  • führt zu einem Anstieg der Methanfreisetzung und damit zum Anstieg stark klimaschädlicher Gase in der Atmosphäre
  • ist letztendlich eine Geisterdebatte, der Versuch den fossilen Energien, hier speziell dem Erdgas, das Überleben zu sichern

Es ist dringend notwendig, die im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbarten Ziele zu erreichen, diese werden jedoch im Falle einer Freigabe des Frackings zur Erschließung von Schiefergaslagerstätten erheblich gefährdet.

António Guterres sagte Anfang April, anlässlich der Vorstellung des neuen IPCC Berichtes [8]):

[…] Investitionen in neue Infrastrukturen für fossile Brennstoffe sind moralischer und wirtschaftlicher Wahnsinn. Solche Investitionen werden schon bald verloren sein […] 

W. Marschhausen


[1] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/technologie/lng-terminal-gasversorgung-klimaziele-russische-gaslieferungen-eu-ersetzen-infrastruktur-fluessiggas-101.html

[2] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/technologie/lng-terminal-faq-101.html

[3] https://wintershalldea.com/de/woran-wir-glauben/unser-ansatz-fuer-den-klimaschutz

[4]) UBA-Studie von 2014 , Teil 2, Seite AP7-39
umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/texte_53_2014_umweltauswirkungen_von_fracking_0.pdf

[5]) Entspricht dem Wasserverbrauch Hamburgs für gut 6 Jahren

[6])  Entspricht der fast dreifachen Wassermenge des Edersees, dem drittgrößten Stausee Deutschlands 

[7] https://corporate.exxonmobil.de/-/media/Germany-natural-gas/Files/Dritter-Statusbericht-zur-Umsetzung-der-Empfehlungen-des-Neutralen-Expertenkreises/9-Neues-Bohranlagenkonzept-Pust-ExxonMobil.pdf?la=de-DE&hash=4698E9DC4664EA21A2F69104EB6AA719DA81A503

[8]) https://www.un.org/sg/en/content/sg/statement/2022-04-04/secretary-generals-video-message-the-launch-of-the-third-ipcc-report-scroll-down-for-languages